
Status, Strategien, Stolpersteine
Deutschland ist beim Hochlauf der Elektromobilität in eine neue Phase eingetreten: weniger Prämien, mehr Infrastruktur, härterer Wettbewerb – und deutlich pragmatischere Strategien der Hersteller. Hier ist der Überblick mit einem kritischen Blick auf Chancen und Risiken.
Markt & Politik: Vom Förder-Turbo zur Marktnormalität
- Kaufprämie beendet: Der Umweltbonus wurde am 17.12.2023 gestoppt; seit 2024 gibt es keine nationale BEV-Kaufprämie mehr. Das hat den Absatz 2024 gebremst.
- Marktanteile: 2024 kamen Batterie-Elektroautos (BEV) in Deutschland auf 13,5 % Marktanteil, während Hybride inklusive PHEV stark zulegten. Im April 2025 lag der monatliche BEV-Anteil wieder bei 18,8 % – ein Zeichen für Erholung ohne Zuschüsse.
- EU-Rahmen: Ab 2035 dürfen neue Pkw in der EU keine CO₂-Emissionen mehr ausstoßen; ein deutscher Vorbehalt erlaubt theoretische E-Fuel-Ausnahmen. Parallel verpflichtet AFIR ab 2025 zu Schnellladern (≥150 kW) alle 60 km auf EU-Hauptkorridoren.
Infrastruktur: Schnelllader kommen, Netze ziehen nach
- Öffentliche Ladepunkte: Mitte 2024 gab es rund 143–146 Tsd. Ladepunkte in Deutschland, davon ca. 30 Tsd. Schnelllader – Wachstum schneller als die Zahl neuer E-Autos.
- Deutschlandnetz: Der Bund vergab 2023 die großen Lose; erste Standorte gingen im Mai 2025 ans Netz. Das schließt Versorgungslücken entlang von Autobahnen und in der Fläche.
- Netzstabilität: Seit 01/2024 dürfen Netzbetreiber Wallboxen zeitweise drosseln, um lokale Netze zu stabilisieren – ein realer Engpass, der intelligente Steuerung nötig macht.
Herstellerstrategien: Von „nur elektrisch“ zu „sowohl als auch“
- BMW startet die Neue Klasse (erste Serie Ende 2025 in Deutschland) und kritisiert den starren 2035-Pfad; der Kurs setzt auf profitables BEV-Wachstum und weiterlaufende Verbrenner.
- Mercedes-Benz rückt vom Motto „ab 2030 nur noch elektrisch“ ab, investiert zusätzlich in Hybride/Verbrenner, weil die Nachfrage schwankt.
- Volkswagen kämpft mit Software-/Plattform-Verschiebungen (Cariad/SSP) – ein Kostenthema und Time-to-Market-Risiko.
- Wettbewerb aus China & Handelspolitik: Die EU hat definitive Strafzölle auf China-BEVs verhängt (Ende 2024), 2025 spitzte sich der Zollstreit weiter zu. Das schützt Margen kurzfristig, verteuert aber Preisführer.
- Tesla in Deutschland: Werksausbau Grünheide bleibt umstritten (Proteste, Arbeitsbedingungen). Für die Standortattraktivität sind Planungssicherheit und Akzeptanz entscheidend.
Kritische Hintergründe, die oft untergehen
- Industriesouveränität & Batterien: Die Northvolt-Insolvenz (März 2025) ist ein Dämpfer für Europas Batterieträume; in Deutschland lief parallel die Heide-Fabrikplanung (später mit Umstrukturierungsteilen). Das zeigt: Lokale Zellfertigung ist kapital- und risikointensiv – und strategisch dennoch wichtig.
- Reale Emissionen von PHEV: Plug-in-Hybride stoßen im Alltag 3–5× so viel CO₂ aus wie im Prüfstand – wenn sie selten geladen werden. Für Flottenpolitik und Regulierung ist das zentral.
- Zuverlässigkeit & Alltag: ADAC-Daten deuten darauf, dass BEV im Pannenvergleich (2–4 Jahre alt) seltener ausfallen als vergleichbare Verbrenner. Winterreichweite sinkt, aber planbar.
Wohin geht die Reise?
- Mehr Angebot, schärferer Wettbewerb: Modelle werden effizienter, günstiger und software-zentrierter. Zölle bremsen China-Preise, aber nicht den Innovationsdruck.
- Infrastruktur wird erwachsen: AFIR + Deutschlandnetz + Flottenlösungen (Depot/Arbeitgeber) senken Reichweitenangst – die Qualität (Verfügbarkeit/Payment/Preis-Transparenz) wird zum Differenzierer.
- Netze & Lastmanagement: Drossel-Regeln bleiben Übergangslösung; Skalierung braucht beschleunigten Netzausbau und smarte Tarife (zeit-/netzorientiert).
- Strategischer Kern „Batterie“: Europa/Deutschland müssen trotz Rückschlägen in Zell-, Material- und Recycling-Wertschöpfung investieren – sonst bleibt hohe Importabhängigkeit.
Kurzfazit: Deutschlands E-Mobilität wird erwachsener: weniger Stützkonstruktionen, mehr Wettbewerb und Fokus auf Kosten, Qualität und Netzintegration. Hersteller fahren mehrgleisig, doch politisch bleibt der Null-Emissionen-Kurs gesetzt. Entscheidend werden nun Infrastruktur-Qualität, Software-Reife und Batteriesouveränität sein.
Elektromobilität in Deutschland ist kein reines Erfolgsmodell, sondern ein Übergangsprozess mit vielen offenen Baustellen. Der Weg zu einer klimafreundlichen Mobilität braucht mehr als nur neue Antriebe: Er erfordert Investitionen in Netze, faire Rahmenbedingungen im internationalen Wettbewerb und vor allem eine ehrliche Debatte über die Grenzen des Wachstums.
Nur so lässt sich vermeiden, dass Elektromobilität von einer Lösung selbst zum neuen Problem wird.
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